Samstag, 27. Mai 2017

Karpfenessen im Gasthof Winzerstube in Weimersheim

Ostern 2017 war, was das Wetter angeht, beileibe kein Highlight.

Der Wetterbericht versprach, dass zumindest der Vormittag des Ostersonntags im Norden Bayerns halbwegs trocken bleiben würde.

Was tun? Früh aus den Federn und auf nach Franken! Nein, nicht nach Bier-Franken und auch nicht nach Weinfranken - ins Grenzgebiet der beiden Getränkewelten Frankens, an den südlichöstlichen Teil der Mittelfränkischen Bocksbeutelstraße, eines Weinanbaugebietes, das selbst Weininteressierten relativ unbekannt ist.
Neustadt an der Aisch, ein 12.000-Seelen-Städtchen an der B8 gelegen kenne ich vom Hörensagen. Eher seiner Karpfengründe wegen ...
von Robert Bock


Foto: Wikicommons, Julian K.
Franken ist eine Hochburg des Karpfens. Der "Aischgründer Karpfen" gilt paniert als  Delikatesse, die es zu internationaler Bekanntheit gebracht hat. Der Karpfen wird einschließlich Kopf und Flossen längs in zwei Hälften gespalten, in Mehl gewendet und in schwimmendem Fett gebacken („Karpfen fränkisch“). Die Flossen sind knackeknusprig und essbar.

Foto:Gasthaus Winzerstuben Weimersheim
Meinen ersten und letzten klassischen fränkischen Karpfen aß ich vor ein paar Jahren In Sommerach auf der Weininsel an der Mainschleife - mein letzter, weil mich dieses Grätengefiesel unsäglich nervt.

Das Fleisch von Karpfen, Hecht und anderen Weißfischen, schmeckt zwar vorzüglich, aber das Skelett der Fische bringt - in meinem Fall - selbst einen bestens verdrillten Geduldsfaden zum Reißen ...

Karpfen grätenfrei gibt's in manchem Gasthof des fränkischen Karpfenlands, dank eines kleinen Küchenhelfers, der die haarfeinen Gräten schröpft, d.h. in mit der Zunge nicht mehr tastbare Miniaturstücke zerlegt. So einen fand ich auf meiner Suche in den undendlichen Weiten des Webs in Weimersheim, einem Ortsteil des Weinbauörtchens Ipsheim an der Mittelfränkischen Bochsbeutelstraße: Das Gasthaus Winzerstube.

Dorthin, und vorab zu zwei Winzern der Gemeide Ipsheim, deren Verkauf laut deren Websites auch Sonn- und Feiertags für ein paar Stunden geöffnet habe, führt dieser Ostersonntagsausflug.

Der Plan: Eine mir noch unbekannte Weinbaugegend erkunden, vor Ort Winzer und ihre Weine kennenlernen, ein paar Kisten Frankenweins in den Kofferraum packen, sich anschließend mit Karpfen die Wampe vollschlagen und abschließend vor der Heimfahrt, sofern Petrus sich konziliant erweist, ein Spaziergang im Weinberg.

Das Maindreieck, das Mainviereck, Tauberfranken (großteils Baden zuzurechnen) und den Steigerwald rund um den Schwanberg und die Orte Iphofen, Rödelsee und Castell kennt man als Freund des Frankenweins.

Dass aber nicht nur in Unterfranken, sondern auch im nordöstlichen Mittelfrankens Wein an- und ausgebaut wird, wußte ich zwar, es hat mich bislang aber mangels klingender Namen von Weingütern, Weinorten und Lagen noch nicht dorthin gezogen. Das soll sich heute ändern!

Karte: Fränkischer Weinbauverband
Die Gegend um Ipsheim (siehe roter Kreis auf der Landkarte) zählt zur Frankenweinregion Steigerwald, welche geologisch zum Keuperbergland rechnet, welches wiederum Teil des Süddeutschen Schichtstufenlandes ist.

Vereinfacht ausgedrückt: Gipskeuper prägt den Charakter der Steigerwaldweine, Muschelkalk jene des Maindreiecks und Buntsandstein die des Mainvierecks. Den Frankenwein, den gibt es nicht - Weinfranken ist ein spannender Flickenteppich von Weinen unterschiedlichster Charakteristik.

Ipsheim selbst hat - samt seiner elf Ortsteile (verstreute Weiler) - nur 2100 Einwohner, aber einen Wikipedia-Eintrag, annähernd umfangreich wie jener Regensburgs. Immerhin, las ich dort, trieben sich dort nachweislich bereits vor 45.000 Jahren altsteinzeitliche Jäger und Sammler herum und der Ort wurde bereits ums Jahr 600 gegründet ... Großes Lob an den oder die Autoren, die viel Sachverstand und Heimatliebe erkennen lassen.

Wir besuchen zunächst die Weinbaubetriebe Hofmann in Ipsheim, anschließend das Weingut an der Steige von Armin Düll im Ortsteil Mailheim.

Entgegen anderslautender Gerüchte wurde in Mailheim weder die eMail erfunden, noch befindet sich dort die Heimat der riesigen Server, auf denen moderne elektronische Post gespeichert wird.

Es hätte noch einige Weinbaubetriebe mehr in und um Ipsheim gegeben, aber die hatten am Ostersonntag leider geschlossen oder haben nach wie vor keine Internetpräsenz.

Selber schuld, oder wegen Reichtums geschlossen, wie das Café Krönner in Straubing? Im Vergleich zu den Betrieben in den bekannten Weinorten entlang des Mains, schlafen viele Winzer der Mittelfränkische Bocksbeutelstraße in Sachen Marketing noch den Schlaf der Gerechten ...

Auf holprigen Landsträßchen klingeln im Kofferraum die Flaschen fränkisch trockenen weißen Rebensafts in ihren Kartons. Ich liebe dieses Geräusch: Das sachte Klirren verbreitet Vorfreude auf genuss- und lehrreiche Stunden.

Nichts kann einem Weinfreund die Erotik des Weineinkaufs direkt ab Hof ersetzen, schon gar nicht Kauf von gesichtslosen Massenweinen beim Discounter. Mir ist die persönliche Verbindung zur Landschaft und den Menschen wichtig, die sich tagein tagaus bei jedem Wind und jedem Wetter mühen, den bestmöglichen Wein, den Mutter Natur im Zusammenspiel von Klima, Wetter, Boden und Mensch ermöglicht, auf die Flaschen zu ziehen.

Burg Hoheneck, Wikicommons
Wir nähern uns dem Weiler Weimersheim, vorbei an der mächtigen Burg Hoheneck, die einer der besten Lagen der Gegend ihren Namen gibt, ab 1928 Schulungsstätte der SA und Schauplatz nationalsozialistischer Großveranstaltungen war und heute - im Eigentum der Stadt Nürnberg befindlich - einer Jugendbildungsstätte Heimat ist.

In Weimersheim hoffen wir auf grätenfreien Karpfen ... In einer halben Stunde schlägt die Uhr Mittag. Noch ist nicht viel los im Gasthaus Winzerstube Weimersheim.

Zwei hagerer Wanderer, die wirke, als seien sie gerade dem Jack-Wolfskin-Katalog entsprungen, brechen gerade auf. Ansonsten sind wir die einzigen Gäste, aber die meisten Tische sind reserviert.

Der Franke isst gern früh, damit er nachmittags zu Brotzeit oder Kaffee/Kuchen wieder Appetit verspürt und er das Abendessen nicht ausfallen lassen muss. Um 12 Uhr wird die Stube rammelvoll sein, verraten die Reservierungsschildchen. Gut, dass wir früh dran sind!

Das Ambiente sei stimmig, meint meine charmante Begleiterin. Ich wundere mich über ihr Statement. Meinem Dafürhalten nach, kann sich hier seit Anfang der 1980er Jahre nicht viel verändert haben. Ein paar Deko-Bocksbeutel mit Etiketten aus dieser Zeit künden von verblichenem Gründergeist.

Mit dem Begriff Deko-Bocksbeutel ist die Atmosphäre im Grunde ausreichend beschrieben. Hier passt tatsächlich ein Kitsch zum anderen - das aber so liebevoll, dass man den Urhebern nicht grollen kann. So nostalgisch war Franken selbst vor 35 Jahren nicht, wahrscheinlich eher vor 50, 60 Jahren oder als die SA drüben auf Burg Hoheneck völkisches Liedgut grölte.

Uns ist das im Augenblick egal, wir haben Lust auf Filet vom Aischgründer Karpfen "Wiener Art", in Ei und Semmelbrösel gewendet und echtem Butterschmalz in der Pfanne herausgebacken mit Kartoffelsalat und Salatteller für 12,90 EUR.

Sehr sympathisch finde ich, dass dieses Gericht hier als eines von zwei Positionen auf der Karte unter der Rubrik "vegetarisch" läuft ... In Franken wird diese pubertäre Schrulle namens Veganismus niemals einen fußbreit Boden Raums gewinnen! Was das kleine gallische Dorf in der Normandie den Römern, wird Franken den Verfechtern fleischloser Freudlosigkeit sein ...

Der "Rote Berg"
Zum Wein: Was in Franken als "halbtrocken" deklariert ist, heißt anderswo "trocken". Wo in Franken "trocken" draufsteht ist "saharatrocken" (offiziell: fränkisch-trocken) drin ...

Meine charmante Begleiterin bestellt, eingedenk der fränkisch-trockenen Erfahrung bei Winzer Armin Düll, einen halbtrockenen Bacchus vom "Roten Berg" in Weimersheim, ich einen ebenfalls halbtrockenen Müller-Thurgau der gleichen Lage aus dem Hause Jürgen Gehret, eines Winzers, dessen Betrieb drei Häuser die Straße abwärts, nicht aber im Web ansässig ist. Ob Bono und The Edge von U2 hier schon mal vorbeigekommen sind? Jedenfalls haben in Weimersheim die Straßen keine Namen. Wenigstens die Häuser hat man durchnummeriert: Das Gasthaus Winzerstube Weimersheim trägt Hausnummer 17. Eine Primzahl. Muss nichts bedeuten ...

Passend zur Stilistik der Location serviert man den Wein in den - nach Plastikbechern und Vogeltränken - denkbar ungeeignetsten Gefäßen: Römern!

Liebe Gastronomen, die es angeht: Ab in den Altglascontainer damit! Kauft Euren Gästen und Eurer Reputation zuliebe ordentliche Weingläser, in denen der Wein seinen Charme entfalten kann! 

Eingeflochten sei an dieser Stelle eine Anekdote, die mich kopfschütteln macht: Auf meine konstruktiven Kritik hin, die altbackenen Römer durch gute Weingläser zu ersetzen, beschaffte, wie mir zugetragen wurde, der Küchenchef des Korea-Wirts in Altenthann jüngst tatsächlich moderne, gute Weingläser. Jedoch sah die Wirtin sich angeblich befleissigt, diese - statt ihrer widerwärtigen Römer - mutwillig samt zugehöriger Verpackung zu entsorgen. Unter Genuss- und Orientierung am Wohl des Gastes stelle ich mir persönlich etwas anderes vor. 

Ich schäme mich der Aktion dieser Dame wegen fremd - des jungen Küchenchefs Einstellung, seinen Gästen nur das Beste zu gönnen, sei ausdrücklich gelobt! 

Besucht den Korea-Wirt, liebe Leserinnen und Leser, bestellt einen Schoppen Wein, und erbittet hartnäckig anständige Gläser! Ob das etwas bewirken wird ...? Ist gegen chronische Meinungsverfestigung ein Kraut gewachsen? Muss der ökonomische Leidensdruck sich steigern oder wird erst das Gesetz der Kreatürlichkeit menschlichen Seins das Problem dereinst final lösen ...? 

Römer ... Kein Weincharme auch in Weimersheim, also. Man sollte ein Gesetz erlassen, dass die Verwendung dieser Genussvereitelungsbehältnisse unter Strafe stellt.

Der Karpfen hingegen ist hinreissend. Auch der Kartoffelsalat aus heimischen Erdäpfeln. Die schmecken einfach anders als unsere oberpfälzer Sorten.

Generell stelle ich wieder und wieder fest, dass man als kulinarischer Geniesser in Franken um ein Vielfaches besser aufgehoben ist, als in der Oberpfalz. In Franken - egal wo! - so richtig in die Schüssel zu greifen, passiert  äußerst selten. Für die Franken hat gutes Essen einen anderen Stellenwert. Mich erinnern sie - auch was den Stil der Speisen angeht  - sehr an die Menschen im Elsass ...

Den Einheimischen, die hier am Ostersonntag speisen, ist Fisch wohl eingedenk Karfreitag schnuppe. Sie bestellen Rouladen mit Klöß, Lammhaxen und Braten. Ein Teller appetitlicher, als der andere. Mittelfranken, Ipsheim-Weimersheim: Arsch der Welt - aber richtig gut essen kann man hier am Fuße des "Roten Berges"!

Den erklimmen wir im Anschluß und wandern wohlig satt und windumtost die weitschweifigen Zeilen sich an ihren Rankhilfen windenden Weinstöcken entlang.

Dunkle Wetter ziehen auf. Bald wird es ungemütlich werden. Zeit aufzubrechen! Ich wende meinen Blick ein letztes Mal in Richtung des Roten Berges und freue mich still aufs Flaschenklingeln vom Heck des Wagens her ...




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